MyVideo: Die Chronik eines gescheiterten Traums im Schatten von YouTube
MyVideo war mehr als nur eine Website; es war der ambitionierte Versuch Deutschlands, einen nationalen Champion im boomenden Online-Video-Markt zu etablieren. Gestartet im Jahr 2006, kämpfte das Portal jahrelang tapfer gegen die globale Dominanz von YouTube, bevor es schließlich 2017 das Feld räumen musste.
1. Die Gründung und die frühen Erfolge (2006–2007)
Das Videoportal wurde im April 2006 gegründet. Der Start war fast zeitgleich mit der Popularisierung von YouTube, und MyVideo profitierte sofort vom deutschen Marktinteresse an nutzergenerierten Inhalten (UGC). Das Konzept sah vor, dass Nutzer eigene Videos hochladen und teilen konnten.
Was MyVideo von seinem amerikanischen Konkurrenten abhob, war der frühe Fokus auf legale, lizenzierte Inhalte. Dies positionierte MyVideo schnell als legale Alternative in einer Zeit, in der YouTube noch stark mit Urheberrechtsproblemen kämpfte.
2. Die Übernahme durch ProSiebenSat.1 (2007) und die Blütezeit
Im Dezember 2007 übernahm die ProSiebenSat.1 Media AG MyVideo. MyVideo wurde zum zentralen digitalen Standbein des Medienkonzerns. Durch die Integration der Inhalte der hauseigenen TV-Sender (ProSieben, Sat.1, Kabel Eins etc.) stiegen die Reichweite und die Werbeeinnahmen massiv an. Die Blütezeit der Plattform lag zwischen 2008 und 2012, in der das Portal Millionen von Nutzern erreichte.
3. Die Herausforderungen und der strategische Druck
Trotz des Erfolgs im deutschsprachigen Raum konnte MyVideo global nicht mithalten. Vier zentrale Probleme führten zur Erosion der Marktposition:
- Globale Konkurrenz: YouTube wuchs exponentiell und integrierte sich tief in das mobile Ökosystem und die internationale Content-Szene.
- Kosten und Lizenzen: Die Akquise von Premium-Lizenzen war teuer. Die Werbeeinnahmen reichten oft nicht aus, um die hohen Lizenz- und Betriebskosten zu decken.
- Technik: MyVideo hatte wiederholt Probleme mit der Performance, der Videoqualität und der Benutzerfreundlichkeit.
- UGC-Vernachlässigung: Content Creator bevorzugten YouTube, da es dort eine globalere Reichweite und ein besseres Monetarisierungssystem gab.
4. Das Ende des Kernkonzepts: Die Löschung der Nutzerinhalte
Als ProSiebenSat.1 seine Strategie neu ausrichtete und den Pay-Streamingdienst Maxdome in den Fokus rückte, änderte sich das Schicksal der Nutzer. Der Konzern beschloss, sich vollständig von der ursprünglichen Vision zu trennen, um Kosten zu senken und die Marke klarer zu positionieren.
- Der harte Schnitt 2015: Der Konzern kündigte an, den Upload von nutzergenerierten Inhalten komplett einzustellen. Alle bestehenden Amateur-Videos – der ursprüngliche Grundstein der Plattform – wurden gelöscht. Dies war ein symbolischer und endgültiger Bruch mit den Wurzeln von MyVideo als offene Video-Plattform.
5. Die finale Einstellung (2016–2017)
Nachdem die User-Videos entfernt wurden, erfolgte die Transformation:
- 2016: MyVideo wurde zu einem reinen Werbe- und Informationsportal umgewandelt, das auf die kostenpflichtigen Angebote von Maxdome verlinkte.
- 2017: Im September wurde der Betrieb von MyVideo endgültig eingestellt.
Das Ende von MyVideo, besonders die Löschung des gesamten User Generated Contents, gilt als Beispiel dafür, dass in der digitalen Welt die globale Reichweite und das effizientere Geschäftsmodell (wie bei YouTube) oft lokale Vorteile in den Schatten stellen. MyVideo bleibt jedoch ein bedeutender Teil der deutschen Internetgeschichte als Erinnerung an die Ära der nationalen Videoportale.
